Suff und Sühne by Gary Victor

Autor:Gary Victor [Gary Victor_Suff und Sühne]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2017-04-16T16:00:00+00:00

VIII

Kommissar Dulourd schnippte den Zahnstocher, mit dem er einen hohlen Backenzahn erleichtert hatte, in den Papierkorb. Diesen ließ er zu festen Zeiten leeren. Als Sauberkeitsfanatiker duldete er keinen Fleck auf seiner faltenfreien Uniform. Er ließ sich jedes Wochenende in einem Schönheitsstudio maniküren und brachte dazu seine eigenen Instrumente mit, die er zuvor selbst desinfiziert hatte. Seine Kollegen sahen ihn gelegentlich schräg an, denn wer so manieriert war, trieb sich möglicherweise auch am anderen Ufer herum, seine engen Freunde wussten jedoch von einer beeindruckenden Zahl weiblicher Eroberungen zu berichten. Er war also am eigenen Geschlecht nicht interessiert, er war einfach von Geburt an so. Dreck und Unordnung waren ihm zuwider. Dagegen fühlte er sich im moralischen Gestank wohl, in der Welt der ekelhaften Winkelzüge, der Mogeleien und feigen Kompromisse. Der Kriechgang barg nur eine Gefahr: Der Boden war oft mit Scheißhaufen übersät. Kommissar Dulourd wies nahestehende Personen gern auf sein Talent hin, anmutig und souverän durch den moralischen Morast zu schwimmen, um, wie er es mit den Worten eines zweimal gestürzten ehemaligen Präsidenten ausdrückte, für Frieden in seinem Bauch und seinem Kopf zu sorgen. »La pè nan vant, la pè nan tèt*«, hatte der ehemalige Priester der Slums gesagt, für den er tiefe Bewunderung bekundete. Kommissar Dulourd hatte Frieden in seinem Bauch. Er war reich. Auch in seinem Kopf herrschte Frieden, denn er war intelligent und diskret. Er stellte seinen Erfolg nicht zur Schau. Auf diese Weise war er allen Untersuchungen über Fälle von unrechtmäßiger Bereicherung innerhalb der Polizei entgangen. Diese Untersuchungen interessierten nur die ausländischen Trottel, die alle mit ihrem Demokratie- und Menschenrechtstick nervten.

An diesem Morgen war er sehr zornig. Nachdem er zugestimmt hatte, Kommissar Solon, einen Freund, zu ersetzen, hatte er versucht, sich im Präsidium die absolute und ständige Kontrolle zu sichern. Es war ihm gelungen, das einzige unkontrollierbare Element, Inspektor Dieuswalwe Azémar, aus dem Weg zu räumen, indem er ihn zu einer Entziehungskur gezwungen hatte. Dieser Inspektor, eine lebende Legende wegen der zahlreichen Fälle, die er als Einziger hatte lösen können, und wegen seines unverbesserlichen Alkoholismus, hatte trotz seiner unbestreitbaren Intelligenz und seiner Ehrlichkeit zu viele dunkle Seiten. Sein Friede drohte wegen dieser zweifelhaften Persönlichkeit gestört zu werden. Trübe Elemente des UN-Militärkontingents hatten ihn nachts auf dem Heimweg abgefangen und ihn mit vorgehaltener Waffe gezwungen, zu sagen, wo der Inspektor war. Er fühlte die Beleidigung immer noch. Korrupt aber Nationalist! In Azémars Wohnung war die Leiche einer brasilianischen Staatsbürgerin gefunden worden. Der Tochter eines Generals, Kommandant der UN-Kräfte in Haiti, der sich vor sechs Jahren das Leben genommen hatte. Ausgemachtes Pech! Er hatte die Fotos des Mädchens gesehen, und er hatte die Leiche gesehen. Diese Brasilianerin war von überwältigender Schönheit. Eine solche Frau sucht nicht ohne Grund einen Säufer wie Azémar auf. Es war nicht möglich, dass der Inspektor das Mädchen in seiner Wohnung ermordet hatte und dann unter Zurücklassung aller Beweise gegen ihn geflohen war. Zu solchen Fehlern hielt Dulourd Dieuswalwe Azémar nicht für fähig, auch nicht in seinem geschwächten Zustand.

Was ihn beunruhigte, waren die Leute von der MINUSTAH, insbesondere die Brasilianer, die im Präsidium ein und ausgingen.

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